Ein Beitrag von Lili Neuhauser
„Human-Ressourcen sind wie Natur-Ressourcen, sie sind oft tief vergraben. Man muss nach ihnen suchen, sie liegen nicht einfach irgendwo an der Oberfläche herum.“ Sir Ken Robinson
Das ist der Titel des über 53 Millionen-mal angesehenen TED-Talks aus dem Jahr 2006 von Sir Ken Robinson, einem britischen Experten auf dem Gebiet Bildung und Kreativität. Er war unter Anderem Berater der Regierung Singapurs, auf ihrem Weg zum kreativen Zentrum Südostasiens und hat die nationale Kommission für Kreativität, Bildung und Wirtschaft der britischen Regierung geleitet. Für seine Dienste wurde er von der britischen Krone zum Ritter geschlagen.
Ihm zufolge bremst die Schule nach und nach unsere wichtigsten Fähigkeiten aus; Kreativität, Vorstellungskraft, Neugierde, Begeisterungsfähigkeit.
Niemand weiß heute wie der Jobmarkt im Jahr 2070 aussieht, aber wie Historiker und Bestseller-Autor Yuval Noah Harari es ausdrückt: „Veränderung wird die einzige Konstante sein“. Um sich in einer zunehmend komplexeren und globalisierteren Welt, mit immer mehr Herausforderungen, zurecht zu finden, wird man sich beruflich wie persönlich ständig neu erfinden müssen. Robinson stellt fest: „Kreativität ist keine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit“.
Kreativität ist keine Option, sondern eine absolute Notwendigkeit.
Die Schule betrachtet Kinder nicht als individuelle Persönlichkeiten, sondern bildet sie mithilfe normierter Standards zu jungen Erwachsenen aus, die sich ihrer Stärken und Fähigkeiten nicht bewusst sind, weil sie oft das Gefühl haben, nicht genug gefördert und wertgeschätzt zu werden. Um es anders auszudrücken: Unsere kreativen Ressourcen werden zu oft verschwendet.
Kreativität heißt nicht, gut zeichnen oder malen zu können, sondern kann definiert werden, als die Fähigkeit etwas Neues, Originelles oder Nützliches zu erschaffen. Nach Guilford (Psychologe,1897-1988) zeichnen sich kreative Persönlichkeiten durch eine erhöhte Sensitivität gegenüber Problemen aus. Ihr Denken ist flüssig, was bedeutet, dass sie z.B. in der Lage sind, innerhalb kürzester Zeit viele Verwendungsmöglichkeiten für einen Ziegelstein zu finden. Darüber hinaus verfügen sie über Originalität und Flexibilität hinsichtlich ihrer Denkweisen.
Künstler werden zwar oftmals als übermenschliche Genies dargestellt, doch wie Picasso sagte, steckt in jedem Kind ein Künstler. Zu dumm also, dass wir diese angeborene Neugier und Kreativität in der Schule wieder verlernen. Denn auch aus wirtschaftlicher Sichtweise sind diese Fähigkeiten essentiell; eine Studie von IBM hat ergeben, dass die Top Priorität von CEOs hinsichtlich Mitarbeiter „Kreativität“ ist.
Ein großes Problem besteht darin, dass Schüler Angst haben Fehler zu machen. Erziehung in der Schule basiert darauf, so wenige Fehler wie möglich zu machen, diese bedeuten nämlich schlechtere Noten. Wenn man Schüler selbst fragt, werden die allermeisten bestätigen, dass man vor der Klasse nicht gerne falsch liegt, weil es peinlich sein könnte. Dann schlägt man seine neue Idee oder Lösung lieber mal nicht vor, vielleicht stimmt die Antwort nicht und Mitschüler und Lehrer könnten denken, man ist komisch oder dumm und dieses Stigma würde einem dann anheften. Das Denken ist oft geprägt von „Falsch“ und „Richtig“, alles dazwischen gibt es nicht.
Kreativität dagegen lebt davon neue Ideen auszuprobieren und sich durch Fehler weiterzuentwickeln, ähnlich wie es auch Kleinkinder tun. Ständige Angst vor Fehlschlägen hindert jedoch daran kreative Experimente zu wagen. Oder wie Elon Musk, der vom Wired Magazin zum „ultimativen Entrepreneur“ ausgezeichnet wurde und mit seinen tollkühnen Unternehmungen z.B. PayPal, Tesla und SpaceX, Milliarden-Industrien erschüttert hat: „Wenn man nicht genug scheitert und genügend Fehler begeht, dann ist man wohl einfach nicht innovativ genug.“
Schüler haben Angst Fehler zu machen.
Zudem ist anzumerken, dass ein einziger richtiger Lösungsweg, wie er in der Schule oft verlangt wird, nicht die Realität widerspiegelt und die Fähigkeit zu divergentem Denken verkümmert. Divergentes Denken bedeutet, sich offen, unsystematisch und experimentierfreudig mit einem Thema zu beschäftigen und Probleme auf viele verschiedene Arten zu lösen. Konvergentes Denken dagegen beschreibt das gewöhnliche, lineare, streng rational-logische Denken, welches in der Schule oft angeregt wird.
Divergentes Denken ist auch die Grundvoraussetzung für Design Thinking, ein Konzept zur kreativen Problemlösung, das immer mehr in Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook, Siemens und Adidas angewendet wird, um Innovation anzuregen. Es beruht darauf in viele Richtungen denken zu können und interdisziplinär, in einem die Kreativität fördernden Umfeld, an einem Projekt zusammen zu arbeiten. Design Thinking könnte auch in Schulen angewendet werden, um das kreative Potenzial von Schülern auszunutzen und zu fördern.
Doch unser Schulsystem beruht auf dem der industriellen Revolution, in der es dafür vorgesehen war, junge Erwachsene auszubilden, die Vorgaben erfüllen und einwandfrei in arbeitsteiligen Produktionsketten funktionieren können. Zwar gab es sehr viele Verbesserungen – Charakterstärke, Originalität, persönliche Weiterbildung und der Blick über den Tellerrand wird dennoch zu wenig gefördert.
Einerseits lernt man durch die ständige Notenorientierung nicht um der Sache willen. Das kennt vermutlich jeder: Man will den Stoff gar nicht richtig verstehen, sondern lernt ihn einfach sinnentleert auswendig, um eine gute Note zu bekommen. Andererseits wird man auch meist nur auf seine Leistung reduziert. Wenn die nicht gut ist, weil man vielleicht eine andere Meinung als der Lehrer vertritt oder eben nicht die perfekte Musterlösung parat hat, denken viele sie wären schlechter als Schüler, die ständig eifrig auswendig lernen und dafür 15 Punkte kassieren. In Kunst beispielsweise malen Schüler oft so wie es dem Lehrer gefällt und nicht in ihrem eigenen Stil, um gute Noten zu bekommen, dabei geht jegliche Individualität verloren.
TOP 5 Kreativitätsblockaden:
- Strikte Zielorientierung und starre Lösungswegfixierung
- Leistungsdruck und Erfolgsorientierung
- Zweiteilung zwischen Arbeit und Spiel
- Perfektionismus
- Konformitätsdruck
TOP 5 Eigenschaften kreativer Menschen:
- Beharrlichkeit
- Spontaneität
- Intrinsische Motivation
- Glaube an die eigene Kreativität
- Frustrationstoleranz
Wenn man nicht genug scheitert und genügend Fehler begeht, dann ist man wohl einfach nicht innovativ genug.
— Elon Musk
Dieses Gefühl der Minderwertigkeit kann zu einem „fixed mindset“ führen. Die Leute denken, dass Qualitäten wie Intelligenz oder Talent feste Eigenschaften sind, die nicht verändert werden können. Entweder man hat Talent oder eben nicht. Wenn man an etwas scheitert, dann ist man sicher nicht schlau genug dafür.
Dabei ist gerade diese Einstellung hinderlich für die eigene Kreativität, denn man traut sich selber nichts mehr zu und man führt im schlimmsten Fall ein Leben oder wählt einen Beruf konträr zu eigenen Fähigkeiten und dem eigenen Potenzial. Beim erstrebenswerten „growth mindset“ vertritt man die Einstellung, dass grundlegende Fähigkeiten entwickelt werden können, durch Einsatz und harte Arbeit. Diese Sichtweise schafft eine Liebe für’s Lernen und Widerstandsfähigkeit, die essentiell ist für herausragende Leistung.
Kreativität hängt keinesfalls nur von Talent ab, sondern von vielen Faktoren, zum Beispiel spielt auch Durchhaltevermögen eine Rolle. Viele Schüler geben schnell auf, wenn sie etwas nicht auf Anhieb verstehen. Verständlich, wenn der zu lernende Stoff für sie keine direkte Relevanz hat und als unwichtig erscheint.
Die Fächer und der Unterricht sind für sie oft langweilig und nicht anwendungsorientiert, dies kann die Eigenmotivation, die sogenannte intrinsische Motivation, vermindern. Die Motivation und Aufmerksamkeit, ist jedoch unmittelbar verknüpft mit externen Faktoren und dem Lernumfeld. Wenn man im zu lernenden Stoff keinen Sinn oder größeren Zusammenhang erkennt, der interessant sein könnte, nimmt natürlich die Motivation ab.
Neugier und Interesse sind essentiell für das Lernen, so behält man den Stoff im Gedächtnis. Natürlich mag man nie alle Fächer, doch andererseits haben auch nur wenige in der Schule ein Fach, das ihnen richtig Spaß macht und in dem sie sich wirklich engagieren. Man macht eben alles, weil man es nun mal muss und das zwölf Jahre lang.
Um intrinsische Motivation und Kreativität zu fördern, muss Lernen definitiv vielseitiger gestaltet werden z.B. mit mehr fächerübergreifenden Projekten, Aktionstagen, Workshops und Wettbewerben. Um beispielsweise Wirtschaftswissen nachhaltig zu vermitteln, könnte man statt klassischem Unterricht auch eine Schülerfirma gründen. Somit werden Zusammenhänge klar, der gelernte Stoff ergibt einen Sinn und man sieht Anwendungsbeispiele. Auf diesem Weg werden fachliche und soziale Kompetenzen so vermittelt, dass es den Schülern mehr Spielraum lässt.
Ein weiterer Faktor, der die Motivation einschränkt, ist die Tatsache, dass wir Fächer bis zur Oberstufe nur in geringem Ausmaß selber wählen können und somit nicht unseren Interessen und Neigungen folgen können. Die Fächer sollten sich zudem viel mehr an unseren zukünftigen Berufssparten orientieren und nicht an denen der letzten Generationen.
Allgemeinbildung ändert sich eben im Laufe der Zeit genau wie Gesellschaft, Politik, Sprache und Technologie. In unserer Zukunft kommt es nicht mehr darauf an, einen dicken Katalog mit angehäuftem Wissen mitzutragen, es geht darum die Funktionsweise von Konzepten zu verstehen und um die Fähigkeit eigene originelle Ideen entwickeln zu können, die dir noch kein Computer abnehmen kann.
Unsere Generation Z wird vor einige Herausforderungen gestellt werden, dafür ist die Bereitschaft notwendig, lebenslang Neues zu lernen, wenn man nicht abgehängt werden will. Lernen sollte also schon in der Schule eine möglichst positive Erfahrung sein.
Lange kann sich Deutschland sein jetziges Bildungssystem hoffentlich nicht mehr leisten, denn wenn es in Zukunft Nachwuchs ausbilden will, der mit mutigen und innovativen Lösungen die Probleme unserer Zeit angehen soll, muss Kreativität schon von früh auf gefördert und nicht eingedämmt werden.
Du kannst in Allem kreativ sein – in Mathe, den Wissenschaften, in Technik oder Philosophie – genauso wie in Musik, beim Malen oder Tanzen.
— Sir Ken Robinson
Spiele zu divergentem Denken:
- Wie viele Wörter, die mit „S“ beginnen, findest du in 2 Minuten?
- Wie viele Verwendungsmöglichkeiten kannst du dir für eine Büroklammer oder einen Löffel vorstellen? Je abstrakter, desto besser!
- Kritzle eine Linie/ Kreis/irgendetwas auf ein Blatt. Vervollständige es jetzt zu einem Bild! Oder male 10 Kreise und vervollständige jeden zu einem unterschiedlichen Bild